Will Trent 02 - Entsetzen by Slaughter Karin

Will Trent 02 - Entsetzen by Slaughter Karin

Autor:Slaughter, Karin [Slaughter, Karin]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-02-01T16:00:00+00:00


11

Faith saß an ihrem Küchentisch. Bis auf das Nachtlicht am Herd war das Zimmer dunkel. Sie hatte sich eine Flasche Wein, ein Glas und einen Korkenzieher geholt, aber alles stand unbenutzt vor ihr auf dem Tisch. In den ganzen Jahren hatte sie sich nichts sehnlicher gewünscht, als dass Jeremy alt genug würde, um auszuziehen, damit sie wieder so etwas wie ein Eigenleben führen könnte. Jetzt, da er nicht mehr da war, fühlte sie sich, als hätte sie dort, wo früher ihr Herz gewesen war, ein klaffendes Loch in der Brust.

Trinken half auch nichts. Wenn sie Wein trank, wurde sie immer rührselig. Faith griff nach dem Glas, um es wieder wegzustellen, doch stattdessen stieß sie es um. Sie griff danach, aber der Rand prallte von der Tischkante ab, und das Glas zersplitterte auf dem Fliesenboden. Faith kniete sich hin und hob die Scherben des zerbrochenen Weinglases auf. Sie dachte daran, das Licht einzuschalten, allerdings erst in der Sekunde, bevor eine Scherbe sie in die Haut stach.

»Verdammt«, murmelte sie und steckte sich den Finger in den Mund. Sie ging zum Spülbecken und ließ kaltes Wasser über die Wunde laufen. Sie schaltete das Licht über dem Becken an und sah zu, wie das Blut sich auf dem Stahl sammelte und fortgespült wurde.

Tränen traten ihr in die Augen, ihre Sicht verschwamm. Sie kam sich blöd vor wegen dieser Melodramatik, aber es war niemand da, der sie fragte, warum sie wegen etwas weinte, das nicht mehr war als eine Schnittwunde, deshalb ließ Faith die Tränen laufen. Außerdem hatte sie genug, worüber sie weinen konnte. Morgen früh wäre der Beginn des dritten Tages seit Emmas Verschleppung.

Was würde Abigail Campano tun, wenn sie morgen aufwachte? Würde der Schlaf ihr ein gewisses Vergessen bringen, sodass sie sich erst wieder daran würde erinnern müssen, dass ihr Kind nicht mehr da war? Was würde sie dann tun? Würde sie an all die Frühstücke denken, die sie ihr gemacht hatte, an all die Fußballtrainingsstunden und die Schulpartys und die Hausaufgaben, bei denen sie geholfen hatte? Oder würden ihre Gedanken sich eher auf die Zukunft als auf die Vergangenheit richten: Examen, Hochzeit, Enkel?

Faith nahm sich ein Papiertuch und wischte sich die Augen ab. Sie erkannte, wie falsch ihr Denken gewesen war. Keine Mutter konnte schlafen, wenn ihr Kind in Gefahr war. Faith hatte selbst viele schlaflose Nächte verbracht, und sie hatte genau gewusst, wo Jeremy war - oder wo er sein sollte. Sie hatte sich den Kopf zerbrochen über Verkehrsunfälle und jugendlichen Alkoholmissbrauch und - Gott bewahre - irgendein junges Mädchen, mit dem er ging und das vielleicht so dumm war, wie sie es in diesem Alter gewesen war. Es war schlimm genug, einen Sohn zu haben, der nur fünfzehn Jahre jünger war als sie, aber einen Enkel zu haben, der dann nur noch einmal sechzehn Jahre jünger war, wäre ein vernichtender Schlag gewesen.

Faith lachte laut bei dem Gedanken und warf das Tuch in den Abfalleimer. Sie sollte ihre Mutter anrufen und sie bemideiden, oder sich wenigstens zum millionsten Mal entschuldigen, aber die Person, die Faith im Augenblick wirklich bei sich haben wollte, war ihr Vater.



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